digital-content-writers-india-y3Tl-cbU-CU-unsplash

Strategischer Dialog zur Zukunft der Landwirtschaft in der EU

/
Publié le 04 février 2025

Strategischer Dialog zur Zukunft der Landwirtschaft in der EU

Bewertung aus Sicht der Landwirtschaftskammer Luxemburg

Im September 2024 wurde der von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Auftrag gegebene Abschlussbericht des strategischen Dialogs zur Zukunft der Landwirtschaft in der EU veröffentlicht. Dieses Dokument skizziert - aus Sicht der daran beteiligten 29 Interessenträger aus dem Agrar- und Lebensmittelsektor, der Zivilgesellschaft, dem ländlichen Raum sowie der Wissenschaft - die Konturen der europäischen Agrar- und Ernährungssysteme in 10 bis 15 Jahren und richtet entsprechende Vorschläge an die politischen Entscheidungsträger in der EU-Kommission sowie den Mitgliedstaaten. Zu diesen Vorschlägen wird sich der neue Agrarkommissar Christophe Hansen in den kommenden Wochen positionieren müssen.

Die Landwirtschaftskammer möchte zunächst auf die strategische Bedeutung einer europäischen und nationalen Lebensmittelproduktion hinweisen. Diese wird im Bericht nur unzureichend erwähnt (sie wird auch generell im politischen Diskurs weitgehend ausgeblendet). Angesichts des stetigen Bevölkerungswachstums, der zunehmenden Lebenserwartung sowie der sich verschärfenden geopolitischen Instabilität muss die langfristige Absicherung der Lebensmittelversorgung jedoch eine absolute Priorität der EU darstellen.

Untrennbar damit verbunden, ist die Frage des Generationswechsels in der Landwirtschaft. Die Betriebsnachfolgerkrise in der Landwirtschaft ist nicht weniger real als die immer wieder gerne ins Feld geführte Klima- und Biodiversitätskrise! Der Bericht liefert hierzu jedoch zu wenig konkrete Lösungsansätze.

Nahezu stumm bleibt der Bericht beim Thema administrative Vereinfachung. Dies ist umso erstaunlicher, da die ausufernde Bürokratie doch maßgeblich zu den europaweiten Bauernprotesten im Winter 2023/2024 beigetragen hatte. Gerade vor diesem Hintergrund bleibt der Bericht weit hinter den Erwartungen des landwirtschaftlichen Sektors zurück. Rationalisierung und Digitalisierung einzelner administrativer Vorgänge reichen nicht. In der Summe lassen die Empfehlungen des Berichts sogar wesentlich mehr Bürokratie erwarten. Erwartet wird jedoch nicht weniger als ein konsequenter Bürokratieabbau! Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wäre z.B. das Durchleuchten der europäischen und nationalen Verwaltungsebenen mit Hilfe von Effizienz-Programmen, die in der Wirtschaft längst zum Standard zählen. Gerade die Sinnhaftigkeit zahlreicher Auflagen muss hinterfragt werden.

Die Landwirtschaft braucht dringend verlässliche und langfristige Perspektiven, die deutlich über die in der Agrarpolitik üblichen Planungszeiträume von 5-7 Jahre hinausgehen. In dieser Hinsicht kann der vorliegende Bericht zumindest als Versuch angesehen werden, eine längerfristige Strategie zu erarbeiten. Diese muss aber auch umsetzbar und finanzierbar sein! Angesichts der Vielfalt an zusätzlichen bzw. verschärften Anforderungen, die der Bericht insbesondere im weiten Themenfeld der Nachhaltigkeit vorschlägt, sowie der allenfalls angedeuteten Zusatzfinanzierung, sind diesbezüglich allerdings Bedenken angebracht.

Die EU-Landwirtschaft ist zu vielfältig und unterschiedlich, als dass die zu bewältigenden Herausforderungen mit einem „One size fits all“-Ansatz angegangen werden könnten. Den Mitgliedstaaten muss ein ausreichend großer Spielraum bei der Ausgestaltung der Agrarpolitik zugestanden werden, um z.B. den sozio-ökonomischen und pedoklimatischen Rahmenbedingungen gebührend Rechnung tragen zu können. Die Landwirtschaftskammer spricht sich vor diesem Hintergrund daher auch eindeutig gegen ein einheitliches, EU-weites Benchmarking-System aus. Zudem ist davon auszugehen, dass ein solches System mit einem enormen administrativen Aufwand auf allen Ebenen verbunden wäre, und dass dem Handel mit einem solchen System mittel- und langfristig ein zusätzliches Druckmittel an die Hand gegeben würde. Dies steht im krassen Gegensatz zu den Empfehlungen des Berichts, die auf eine Stärkung der Erzeuger in den Wertschöpfungsketten hinzielen.

Es obliegt den politischen Entscheidungsträgern, allen voran der EU-Kommission, die Interessen der EU-Landwirtschaft im Rahmen der Handelspolitik mit Nachdruck zu verteidigen. Der Bericht fordert diesbezüglich mehr Kohärenz zwischen den einzelnen Politikbereichen. Die Landwirtschaftskammer kann diese Forderung nur unterstützen. Gerade das rezente Beispiel Mercosur zeigt jedoch, wie schnell Realpolitik von einer wie auch immer gearteten politischen Ideallinie abweichen kann. In solchen Fällen ist es aber zwingend erforderlich, dass im Gegenzug sichergestellt wird, dass die aus Nicht-EU-Ländern importierten Lebensmittel aus Produktionssystemen stammen, die als gleichwertig zu jenen in der EU anzusehen sind („level playing field“). Dies bedingt entsprechende Kontrollen (z.B. Pestizidrückstände, Nulltoleranz für in der EU nicht zugelassene Wirkstoffe) bzw. vertrauenswürdige Zertifizierungen (z.B. hormonfreies Fleisch). Sofern solche politischen Entscheidungen zu Lasten der hiesigen Landwirtschaft gehen, müssen geeignete (und unbürokratische) Kompensationsmechanismen bereitgestellt werden.

Die Landwirtschaftskammer fordert mit Nachdruck, dass der Agrar- und Lebensmittelsektor als „kritische Einrichtung“ („entité critique“) und somit als strategisch wichtig anerkannt wird. Angesichts der strategischen Bedeutung der Landwirtschaft vertritt die Landwirtschaftskammer zudem die Ansicht, dass die diesbezügliche politische Entscheidungskompetenz nicht ausgelagert werden darf. Dies gilt insbesondere für die Arbeitsgruppe des „Strategischen Dialogs“, die den vorliegenden Bericht zu verantworten hat, sowie für das künftige „European Board on Agri-Food“ (EBAF), dem der Bericht weitreichende Aufgaben zuweist. Die Landwirtschaft erhebt dabei den Anspruch, im EBAF nicht nur „angemessen“ vertreten zu sein, wie es im Bericht formuliert ist, sondern in einer Weise, die eine Diskussion auf Augenhöhe sicherstellt - auch um sicherstellen, dass die aus Sicht der praktischen Landwirtschaft drängenden Fragen nicht durch Umweltfragen verdrängt werden.

Das Hauptaugenmerk des Berichts liegt nämlich eindeutig auf Fragen der Nachhaltigkeit. Wie bereits eingangs erwähnt, werden die alltäglichen Probleme und Herausforderungen der Landwirte nur unzureichend behandelt. Agrarpolitik vorrangig auf Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele zu reduzieren, greift jedoch eindeutig zu kurz. Sie muss neben der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung zwingend auch die gesellschaftliche Bedeutung der Landwirtschaft (soziale und kulturelle Aspekte) auf gebührende Weise Rechnung tragen und die vielfältigen Implikationen der Landnutzung inkl. Tierhaltung auf den Erhalt der Kulturlandschaft berücksichtigen.

Der vom Bericht vorgeschlagenen Ausarbeitung einer Strategie für eine nachhaltige Tierhaltung verschließt sich die Landwirtschaftskammer nicht. Es muss aber gewährleistet sein, dass die Autoren eines solchen Dokuments nicht unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit, ideologisch motivierte Forderungen aufstellen, die vorrangig auf eine Reduzierung der Viehbestände abzielen. Ähnliches gilt für die Empfehlungen des Berichts im Bereich der Ernährungspolitik. Die vielfältigen Beispiele von Auslagerungen von Produktionen in Drittländer (Landwirtschaft, Industrie), die sich direkt oder indirekt aus ideologisch motivierten politischen Entscheidungen ableiten lassen, müssen endlich zum Anlass genommen werden, dieser Art von Politik ein Ende zu setzen!

Die ohnehin schon sehr ambitionierten Ziele im Bereich Nachhaltigkeit lassen sich nicht mit der politischen Brechstange erreichen. Die Akzeptanz, die zum Erreichen dieser Ziele auf Betriebsebene nötig sein wird, setzt voraus, dass die jeweiligen Ziele und Zeitpläne realistisch sind, dass die Betriebe individuell dort abgeholt werden, wo sie gerade stehen, und dass sich der dafür nötige Aufwand auch finanziell rechnet – und dies ohne schwerfällige Bürokratie! Darüber hinaus gilt es sicher zu stellen, dass das landwirtschaftliche Produktionspotential in der EU erhalten bleibt (Stichwort: Ernährungssouveränität)!

Die vorgeschlagenen „buy-out schemes“ zur Reduzierung der Viehbestände sieht die Landwirtschaftskammer kritisch, da diese in fine auf ein neues Quotensystem hinauslaufen würden. Eine Reduzierung der Viehbestände sollte in jedem Fall nur auf freiwilliger Basis erfolgen. Das Hauptaugenmerk ist aus Sicht der Landwirtschaftskammer auf die Effizienzsteigerung in den verschiedenen Produktionsbereichen zu legen. Die Betriebe müssen gezielt unterstützt werden, ihr Betriebsmanagement zu optimieren (Forschung/Beratung, Digitalisierung, Investitionsförderung, AUKM/Eco Schemes, …). Außerdem gilt es, entsprechende politische Weichen zu stellen, z.B. im Hinblick auf eine verbessertes Nährstoffmanagement (v.a. Rückführung/Recycling von Stickstoff und Phosphor). Hier sind insbesondere die nationalen Entscheidungsträger in Ministerien und Verwaltungen aufgefordert, eine kohärente, aufeinander abgestimmte Politik zu betreiben. Dies betrifft ebenfalls die angesichts des Klimawandels essenzielle Frage betreffend die Bewässerung landwirtschaftlicher Kulturen.

Hinsichtlich der Finanzierung der Agrarpolitik, wirft der Bericht zahlreiche Fragen auf. Die bereits bestehenden Zielsetzungen im Umweltbereich und beim Tierwohl sollen teils noch substantiell verschärft werden. Inwieweit die im Bericht erwähnten zusätzlichen Gelder (u.a. Agri-Food Just Transition Fund, Nature Restauration Fund, EIB) zur Verfügung stehen werden – bzw., was noch wichtiger sein dürfte, auch wirklich den landwirtschaftlichen Betrieben zugutekommen werden – ist hingegen fraglich. Für die Landwirtschaftskammer bedingen höhere Anforderungen an die Betriebe jedoch zwingend zusätzliche Budgetmittel. Eine wie auch immer gelagerte (weitere) Umverteilung innerhalb des bestehenden Agrarbudgets ist jedenfalls nicht hinnehmbar - weder zu Gunsten der Ökologie noch zwischen den Betrieben!

Die Landwirtschaftskammer spricht sich ausdrücklich für das Beibehalten eines spezifischen Agrarbudgets aus. Der landwirtschaftliche Sektor erwartet eine gewisse Kontinuität sowie spürbare Verbesserungen (insbesondere im Hinblick auf den administrativen Aufwand), aber keine erneute grundlegende Reform der GAP mit finanziellen Verwerfungen. Die Stärkung einer produktiven Landwirtschaft muss weiterhin im Mittelpunkt der EU-Agrarpolitik bleiben. Die zusätzlichen Kapitalquellen, die im Bericht erwähnt werden, müssen dies unterstützen, und es gilt sicherzustellen, dass die damit einhergehenden Modalitäten dem einzelnen Betrieb den Zugang so weit wie möglich erleichtern. Gegebenenfalls sind adäquate Hilfestellungen bereitzustellen, um die Betriebe zu begleiten.

Handlungsbedarf sieht die Landwirtschaftskammer eindeutig im Bereich Krisenmanagement. Neben einer unausweichlichen, substanziellen Aufstockung des Budgets der Agrarreserve, ist es von größter Bedeutung, über eine kritische Bestandsaufnahme sowohl die Schwächen der bestehenden Instrumente als auch fehlende Instrumente zu identifizieren bzw. die Produktionen und/oder Schadensfälle zu identifizieren, die derzeit nicht oder nur unzureichend abgesichert sind. Des Weiteren wird zu klären sein, welche Art von Sicherheitsmechanismus (Versicherung, Mutualität) im Einzelfall geeignet ist und inwieweit solche Sicherheitsnetze, im Hinblick auf die Risikostreuung, eine europäische Dimension haben sollten bzw. müssten. Die eingeforderte Anerkennung des landwirtschaftlichen Sektors als „kritische Einrichtung“ ist auch unter dem Gesichtspunkt des Krisenmanagements eminent wichtig.

Die Landwirtschaftskammer begrüßt grundsätzlich die Initiative, zwei thematische EU-Beobachtungsstellen ins Leben zu rufen, die einerseits zur Stärkung regionaler Wertschöpfungsketten beitragen, und andererseits den Flächenverbrauch überwachen sollen. Damit werden in für die Landwirtschaft bedeutsamen Themenfeldern zumindest wichtige Signale gesetzt. Inwieweit dies zu spürbaren Verbesserungen führen kann, bleibt indes abzuwarten. Im Hinblick auf den Flächenverbrauch fordert die Landwirtschaftskammer, dass die Arbeiten der neuen EU-Beobachtungsstelle sich nicht ausschließlich auf eine mengenmäßige Bewertung der landwirtschaftlichen Fläche beschränken, sondern auch die Entwicklung des landwirtschaftlichen Produktionspotentials verfolgen. Gerade vor dem Hintergrund von naturschutzrelevanten Kompensationsmaßnahmen ist dies von großer Bedeutung.

Die Landwirtschaftskammer erachtet es als notwendig, die Bedeutung des öffentlichen Auftragswesens für die Vermarktung insbesondere regional erzeugter Lebensmittel hervorzuheben. Vor diesem Hintergrund fordert sie, dass die im Bericht vorgeschlagene Überarbeitung der entsprechenden EU-Richtlinie in einer Weise erfolgt, dass der „best value“-Ansatz die Beschaffung regionaler Produkte unterstützt (z.B. durch eine entsprechende Bewertung kurzer Lieferketten).

Die Empfehlungen des Berichts hinsichtlich der Lebensmittelkennzeichnung riskieren aus Sicht der Landwirtschaftskammer durch einen hohen Kosten- und Verwaltungsaufwand, in erster Linie zu Lasten der kleinen und mittleren Betriebe zu gehen. Eine Überarbeitung der EU-Rechtsvorschriften muss prioritär die Kennzeichnung der Herkunft der Lebensmittel sicherstellen, und insbesondere irreführende Angaben unterbinden. Gerade im Falle von verarbeiteten Lebensmitteln (z.B. Dosentomaten, Essiggurken) ist dies gängige Praxis. Es werden entweder keine oder aber irreführende Angaben gemacht. Aufgabe der EU muss es aber zunächst sein, die europäische Primärproduktion zu schützen und zu stärken.

Abschließend sieht es die Landwirtschaftskammer als nötig an, über geeignete Maßnahmen- und Aktionspläne die Attraktivität des landwirtschaftlichen Berufs gezielt und nachhaltig zu verbessern. Dies darf sich nicht auf agrarpolitische Entscheidungen beschränken. Gerade angesichts der Tatsache, dass das Modell des landwirtschaftlichen Familienbetriebs nach wie vor (darüber dürfte sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft Konsens herrschen) das Leitbild darstellt, muss diesem Umstand dabei gebührend Rechnung getragen werden. Es gilt, die Rahmenbedingungen für die dringend benötigten Landwirte und Landwirtinnen von morgen mit Bedacht und Fingerspitzengefühl festzulegen. Dies kann nur im Dialog erfolgen. Der von der Landwirtschaftsministerin Martine Hansen bereits angekündigte Aktionsplan zum Generationswechsel in der Landwirtschaft ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Landwirtschaftskammer Luxemburg

Imprimer

Partager